Zivilisiert, gut erzogen und gebildet – so würde sich der typische Geschäftsmann in London, und eigentlich auch in Großbritannien, sicher beschreiben. Auf Außenstehende kann das britische Naturell freilich anders wirken. So mancher empfindet es als kühl, reserviert und schwer zu durchschauen. Wenn Sie bei Gesprächen zuvorkommend und sachlich bleiben und Tugenden wie „Fairplay“ und „Positive Thinking“ beherzigen, schaffen Sie die Basis für erfolgreiche Verhandlungen.
Das Victory-Zeichen
Für Sie war es nur ein harmloses Handzeichen, als Sie mit dem Zeige- und Mittelfinger ein „V“ formten, um beim Kellner im Pub noch zwei Bier zu bestellen. Doch dieser ist plötzlich zu tiefst beleidigt. Ok, denken Sie sich, vielleicht ordert man so nicht unbedingt zwei Bier in Großbritannien, aber steht das „V“ nicht auch hierzulande für „Victory“ und somit grundsätzlich für etwas Positives? Das kommt ganz darauf an: Zeigt Ihre Handinnenfläche nach vorn, kann mit dem „V“ auch in Großbritannien und den Ländern des Commonwealth durchaus Freude und Siegessicherheit gemeint sein. Richten Sie jedoch den Handrücken nach vorn, ist das gleichbedeutend mit dem Stinkefinger.
Die ideale Uhrzeit für einen Besprechungsbeginn ist der späte Vormittag (10 oder 11 Uhr). Eine Anfrage für einen Termin vor 9 Uhr gilt als unhöflich. Treffen ab 15 oder 16 Uhr sind ebenfalls ok. Zwar ist Pünktlichkeit bei den Briten Pflicht, aber nicht genau auf die Minute. Treffen Sie nicht vor der vereinbarten Zeit ein. Falls sich eine größere Verspätung abzeichnet, ist es höflich, den Geschäftspartner kurz anzurufen und zu informieren.
„Shake hands“ ist bei Geschäftstreffen üblich, oft aber nur beim ersten Kennenlernen. Die sehr formelle Frage „How do you do“ oder informeller „How are you“ gehört zum Begrüßungsritual und ist eine Floskel, nicht mehr und nicht weniger. Antworten Sie daher auch kurz und knapp mit „I am fine, thank you“. Anfangs wird man Sie noch mit Mr. oder Mrs. und Ihrem Nachnamen ansprechen, doch geht man schnell zum Vornamen über, um die Atmosphäre zwischen den Gesprächspartnern aufzulockern. Warten Sie hiermit, bis man es Ihnen anbietet. Die für Briten wichtigen Hierarchien bleiben weiter bestehen.
Visitenkarten können Sie gleich zur Begrüßung überreichen. Verzichten Sie auf plumpe Werbegeschenke. Der Gastgeber stellt dem wichtigsten Gast die anderen Gesprächsteilnehmer kurz vor.
Wenn Sie gemeinsam den Besprechungsraum betreten, gehen Höhergestellte und Frauen zuerst (Ladies first). Anders beim Restaurantbesuch: Hier geht der Mann voran und lässt der Dame ausnahmsweise nicht den Vortritt.
Großbritannien und die Bundesrepublik sind wichtige Handelspartner, doch die Spannungen aus dem Ersten und Zweiten Weltkrieg klingen noch nach. Nicht selten kann es zu vermeintlich kritischen bis feindlichen Aussagen im Zusammenhang mit Deutschland kommen – und wenn dabei nur ein Fußballspiel beider Nationen als „Ersatzkrieg“ betitelt wird. Solche Äußerungen müssen jedoch tatsächlich nicht ernst oder negativ gemeint sein, auch wenn die meisten Deutschen diese als geschmacklos empfinden dürften. Hier heißt es: tief durchatmen und nicht aus der Fassung bringen lassen.
Smalltalk ist den Briten für eine erste grobe Einschätzung ihres Gesprächspartners wichtig. Gleich zum Geschäftlichen zu kommen, gilt hingegen als unhöflich und unpassend. Unverfängliche Themen wie das Wetter, Kultur (Londoner Musicals, Theater etc.), Reisen und Sport eignen sich gut als Einstieg. Fragen, die das Privatleben betreffen, sollten gerade bei den ersten Treffen nicht gestellt werden. Und da sich die meisten Briten – trotz der geographischen Lage ihres Landes – nur bedingt als Europäer verstehen und sich kulturell eher mit den USA oder Ländern des Commonwealth wie Kanada, Australien oder Neuseeland verbunden fühlen, sind auch die EU und der Brexit als Themen eher ungeeignet.
Absolute Privatsache sind Dinge wie Politik, Religion, Weltanschauung oder Herkunft. Ebenfalls nicht empfehlenswert: Der neueste Klatsch und Tratsch über die königliche Familie. Der sprichwörtliche rabenschwarze Humor der Briten ist speziell, Späße reichen von harmlosen Witzen und Anekdoten bis hin zu Ironie und Sarkasmus. Bewahren Sie bei einer entsprechend bissigen Bemerkung die Ruhe oder kontern Sie mit Humor. Lassen Sie sich andererseits nicht zu kritischen Äußerungen über Großbritannien hinreißen. Die Briten lieben ihr Land.
Nach Begrüßung und Smalltalk geht es zum geschäftlichen Teil des Treffens über. Briten halten sich bei Besprechungen im Allgemeinen an die vorgegebene Agenda – das bedeutet auch, dass Sie sich z.B. bei Präsentationen genau an den vorher ausgemachten Zeitrahmen halten sollten. Geschäftssprache ist Britisches Englisch. Drücken Sie sich stets gewählt aus und nutzen Sie keinen Slang. Wenn Sie sich, Ihr Unternehmen und Ihre Produkte vorstellen, untermauern Sie Aussagen mit harten Fakten. Stellen Sie auch keine Vermutungen an, die Sie nicht belegen können.
Höflichkeit ist das Maß aller Dinge: Bedanken Sie sich oft und auch schon für Kleinigkeiten mit einem „Thank you“ und entschuldigen Sie sich mindestens ebenso häufig, beispielsweise wenn Sie eine Frage haben oder kurz den Raum verlassen müssen. Formulierungen im Konjunktiv wie „would“ und „could“ in Verbindung mit einem „please“ gehören zum guten Ton. Reden Sie nie schlecht über Kollegen oder andere Mitmenschen und bleiben Sie in Ihren Grundsätzen immer positiv.
Pokerface: Mimik und Gestik sind auf ein Minimum reduziert, Emotionen gehören nicht in den Verhandlungsraum. Zwar sagen britische Geschäftspartner recht genau, was sie wollen, Kritik wird jedoch nicht offen geäußert. Schon gar nicht öffentlich gegenüber Vorgesetzten, denn die Hierarchie spielt in britischen Unternehmen eine wichtige Rolle.
Missfallen wird in Formulierungen wie „I’m afraid“ oder „I understand your point, but…“ verpackt. Zum britischen Fairplay gehört jedoch, dass Ihr Gegenüber Ihnen unmittelbar einen Alternativvorschlag unterbreiten wird, der für beide Seiten interessant sein könnte. Umgekehrt gilt es als unhöflich, wenn Sie Vorschläge Ihres britischen Partners direkt ablehnen. Zeigen Sie sich konstruktiv und kompromissbereit, etwa durch Formulierungen wie „Wouldn’t it possibly be better to…“. Verwenden Sie in keinem Fall ein „You must“. Briten mögen es gar nicht, wenn sie unter Druck gesetzt werden, das widerspricht dem Fairplay-Gedanken.
Vorsicht vor Missverständnissen: Findet Ihr Gesprächspartner etwas „very interesting“, ist es allenfalls mittelmäßig interessant. Bei einem „slight problem“ kann es sich durchaus nicht um ein leichtes, sondern ein schwerwiegendes Problem handeln. Wenn Sie nicht sicher sind, fragen Sie nach, und halten Sie zentrale Punkte von Verhandlungen nochmals schriftlich für beide Seiten fest. Die Briten lassen sich nicht gern in die Karten schauen, was sich ebenfalls im Understatement ausdrückt. Es ist gut möglich, dass Sie mit dem Gefühl die Heimreise antreten, dass das Gespräch gut gelaufen ist und Sie und Ihre Partner sich in den wesentlichen Punkten einig waren. Seien Sie nicht zu enttäuscht, wenn kurz darauf doch eine Absage folgt.
Ein gehobenes Restaurant kommt genauso in Frage wie ein uriger Pub oder ein besonderer Tea-Room. Sparen Sie entsprechend nicht mit Komplimenten wie „What a lovely place“. In guten Lokalen heißt es: „Wait to be seated“ – der Kellner wird Sie an Ihren Platz führen. Das Geschäftsessen dient dem besseren Kennenlernen, dennoch steht beim Gespräch nicht das Geschäft im Vordergrund, sondern zwanglose Unterhaltung.
Es bezahlt derjenige, der eingeladen hat. Der Service ist im Preis nicht immer enthalten, hierfür sollte ein Aufschlag von 10 bis 15 Prozent kalkuliert werden.
Zu Beginn der Mahlzeit einen guten Appetit zu wünschen, ist nicht üblich. Falls Sie dennoch den Wunsch verspüren, ist ein „Enjoy your meal“ durchaus in Ordnung. Bedanken Sie sich jedes Mal, wenn etwas serviert wird.
Manche Briten setzen mittlerweile mehr auf amerikanische Tischmanieren: Nachdem das Essen in mundgerechte Bissen geschnitten wurde, legt man das Messer zur Seite und nimmt die Gabel in die rechte Hand. Der Löffel gehört in die rechte Hand. Es gilt als unzivilisiert, diesen mit der Spitze voran in den Mund zu führen. Man legt ihn seitlich an die Lippen, Speisen wie Suppen lässt man dabei in den Mund fließen.
Wenn Sie etwas benötigen, fragen Sie Ihren Sitznachbarn beispielsweise mit „Can you pass me the salt and pepper, please“, ob er es Ihnen reichen kann. Falls Sie sich während der Mahlzeit kurz vom Tisch entfernen möchten, entschuldigen Sie sich mit einem „Excuse me for a moment, please“.
Traditionell
Versuchen Sie doch einmal das Rules. Das älteste Restaurant Londons besteht seit 1798 und liegt zentral in Convent Garden. Schon Charles Dickens, Herbert George Wells und Lawrence Olivier haben sich hier englische Küchenklassiker schmecken lassen. Wenn es Fish & Chips sein soll, gelten Poppies Fish & Chips und Golden Union als gute Empfehlungen.
Modern
Immer mehr Chefköche in London verpassen bekannten Gerichten ein modernes Gewand und interpretieren sie in neuer, häufig gesundheitsbewusster Weise. Schauen Sie doch mal im Fifteen von Küchen-Popstar Jamie Oliver vorbei oder besuchen Sie Lokale wie Pollen Street Social und Dinner by Heston Blumenthal.
Tea Time
Zwischen 15 und 17 Uhr wird vielerorts der Afternoon Tea angeboten. Dabei werden zum Tee Scones und ClottedCream (Backwerk mit Streichrahm), Sandwiches und Kuchen gereicht. Eine perfekte English Tea Time dürfen Sie unter anderem im The Goring, im Palm Court des Ritz oder im Diamond Jubilee Tea Salon des vornehmen Kaufhauses Fortnum & Mason erwarten. Nicht verwechseln sollten Sie den Afternoon Tea mit dem High Tea, der ab etwa 17 Uhr üblich ist. Beim High Tea erhalten Sie sehr viel umfangreichere Snacks zum Tee, die sogar ein ganzes Abendessen ersetzen können. Wenn Sie abseits vom Tee etwas Süßes naschen möchten, finden Sie bei William Curley ein wahres Zucker-Paradies.
Fish & Chips, Pudding und Minzsoße: Klassiker der englischen Küche
Der Klassiker schlechthin in London ist natürlich Fish & Chips: frittiertes Fischfilet (weißer Salzwasserfisch) und Pommes Frites. Früher gab es dieses Gericht an fast jeder Straßenecke Londons. Heute können Sie Fish & Chips auch in einfachen, aber guten Lokalen genießen. Eine weitere traditionelle Spezialität ist Steak and KidneyPie, eine gebackene Pastete, die mit Rindfleisch, Nierchenstücken und Pilzen gefüllt ist. Ursprünglich aus Schottland stammt Haggis, das mittlerweile seinen Weg auch bis nach London gefunden hat. Um ein gutes Haggisherzustellen, wird ein Schafsmagen mit Innereien, Zwiebeln und Hafermehl gefüllt und gebacken. Dazu isst man Steckrüben und Kartoffeln. Typisch Englisch ist die Minzsoße. Eine beliebte Beilage zum rosa gebratenen Roastbeef ist der Yorkshire Pudding. Dieser hat mit der herkömmlichen Vorstellung eines süßen Puddings nichts gemein. Stattdessen ist er ein mit Salz, Pfeffer und Muskatnuss gewürztes Gebäck aus Mehl, Eiern und Milch.