Kiew Ukraine Reisebericht Topservice

Es ist 7:00 Uhr morgens und ich stehe, noch mit deutlich spürbaren Nachwehen, die dem Vorabend geschuldet sind, hinter dem Hauptbahnhof in Kiew und werde gleich in den Bus nach Tschernobyl steigen. Etwa 2,5 Stunden dauert die Fahrt dorthin. Auf dem Monitor läuft eine Dokumentation über die Nuklearkatastrophe von Tschernobyl 1986. Zugegebenermaßen bekomme ich vom Film nicht allzu viel mit, da ich den versäumten Schlaf versuche nachzuholen, der mir am Vorabend verwehrt war. Wohl dem, der sich bereits im Vorfeld mit der Thematik auseinandergesetzt hat. Mein körperlicher Zustand beschreibt ganz gut eines der Dinge, die ich an der Ukraine liebe: das Nachtleben.

Es ist bereits mein dritter Aufenthalt in Kiew und obgleich ich die Höhepunkte dieser atemberaubenden Stadt mittlerweile so gut zu kennen glaube wie die sprichwörtliche Westentasche, fesselt und fasziniert sie mich immer wieder aufs Neue – diese Stadt voller lebendiger Geschichte und Kultur mit ihren in funkelndem Gold glitzernden Kuppeln, ihren Menschen und ihrem Flair am Ufer des Dnjepr. Zwar ist Kiew für sein Nachtleben nicht so bekannt, wie es das Ibiza des Ostens in Odessa ist, jedoch lässt sich hier ein Abend in einer urigen Bar mit bunten Biercocktails, Melonencider und Brotsticks zum Naschen wirklich gut begehen. Als mein Mitreisender und ich zwei junge Ukrainer im Tischfußball besiegen konnten und wir uns daraufhin standesgemäß von ihnen einen ausgeben ließen, muss es passiert sein, dass wir uns dort festquatschten und die frühe Abfahrtszeit völlig aus den Augen verloren.

Doch genug gejammert – Tschernobyl steht auf dem Plan. Es ist schon ein beklemmendes Gefühl, durch die verlassenen Gebäude in Prypjat zu gehen – ein bisschen wie in einer Art Zombie-Apokalypse-Film. Unsere lokale Führerin zeigt uns Bilder von der einst so florierenden Stadt, die speziell vielen jungen Menschen ein Zuhause bot und durch die Reaktorkatastrophe unbewohnbar wurde. Immer wieder halten wir an bestimmten Stellen an, an denen der Geigerzähler, der zum Equipment eines Tschernobyl-Besuchers zählen sollte und vor Ort gegen eine kleine Gebühr ausgeliehen werden kann, sehr stark ausschlägt, weil die Strahlung an diesen Stellen doch noch sehr hoch ist. Ich bin überrascht, wie nah wir an den Reaktor 4, Ursprung der Katastrophe, herankönnen. Mit einem silbrig glänzenden Sarkophag ist er mittlerweile überbaut und die Strahlungswerte sind inzwischen für den Besucher weitestgehend ungefährlich. Die obligatorische Strahlungsmessung findet mit einer Art Ganzkörperscanner, der fast schon historisch anmutet, vor dem Mittagessen und beim Verlassen des Geländes statt – bei keinem der Besucher schlägt er aus. Auch etwas, das ich an der Ukraine liebe: der sowjetische Charme alt-russischer Technik. Am Ende des Tages erhält jeder sein Tschernobyl-Zertifikat, auf dem per Ablesen des Geigerzählers festgehalten wird, wieviel Strahlung man ausgesetzt war. Das Ergebnis ist schon fast ein bisschen enttäuschend – immerhin müsste ich den Ausflug weitere neun Male machen, um an die Strahlungswerte eines einzigen Langstreckenfluges heranzukommen. Ihr seht also: Ein Ausflug dorthin ist vollkommen ungefährlich und lohnt sich auf alle Fälle!

Nachtzüge verbinden die touristischen Zentren der Ukraine bzw. generell die größeren Städte – und das zu erschwinglichen Preisen. Ein Hauch von Transsibirischer Eisenbahn kommt auf, als wir in den Nachtzug nach Lemberg steigen. Gemütlich haben wir es in unserem eigenen kleinen Reich, das aus zwei Liegebänken und einem kleinen Tisch besteht. Wenn man bedenkt, dass der längste innerdeutsche Flug eine knappe Stunde dauert und man mit dem ICE in die größeren deutschen Städte auch recht schnell kommt, fühlen wir uns wie aus der Zeit gefallen – wie damals, als man noch mehr als einen Tag brauchte, um von Hamburg nach München zu gelangen. Das gemächliche Geruckel des Zuges, die Gemütlichkeit des Abteils und die Ermangelung eines offenen WLANs entschleunigen ungemein. Der Provodnik, unser Schaffner, bietet uns morgens eine Tasse frisch aufgebrühten Kaffee an – ich kann nicht bestimmen, ob er russisch oder ukrainisch spricht, da ich beider Sprachen nicht mächtig bin, aber wir verstehen uns auch ohne Worte und nehmen sein Angebot dankend an.

Und genau das ist es, was ich an der Ukraine vielleicht am meisten liebe: Dass in einem Land, das im Laufe der Geschichte – auch in der jüngeren Vergangenheit, ja sogar aktuell noch – vor derart große Herausforderungen gestellt wurde, die Menschen so herzlich, offen und gastfreundlich sind, macht dieses Reiseziel so wunderbar und obgleich mich eine Reise nach Osteuropa immer aus meiner Komfortzone zu locken vermag, gibt mir die Ukraine ein gleiches Maß an Wohlfühlfaktor zurück.

Und wenn ich beim nächsten Mal wieder mit dem Skybus vom Flughafen oder mit der neu eröffneten Bahn über den Dnjepr fahre und die Mutter-Heimat-Statue von Kiew stolz und aufrecht über die Stadt wachen sehe, dann werde ich sie wieder spüren, die Zuneigung, die ich zu diesem einzigartigen Land entwickelt habe, und es wird sich ein Stück weit anfühlen, wie nach Hause zu kommen…

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