Es gibt zwei Mega-Themen in der Touristik, die derzeit immer wieder im Fokus der Akteure stehen: Das eine heißt Nachhaltigkeit, das andere Digitalisierung. Laut Markus Orth, Geschäftsführer von Lufthansa City Center, kann nur die Kombination von beidem zum Ziel führen.
Die Reisewirtschaft ist weltweit durch Covid-19 stark beeinflusst und seit zwei Jahren massiv betroffen. Dennoch ist die Lust zu reisen ungebrochen, die Sehnsucht nach Abwechslung, Wärme, anderen Kulturen ist grenzenlos. Das Thema Nachhaltigkeit gewinnt dabei gleichzeitig für Produkt, Vertrieb und Marketing immer mehr an Bedeutung. Bereits vor der Pandemie führte dies zu veränderten Ansprüchen an die Reisebranche. Die Kreuzfahrt etwa spürte bereits im Sommer 2019 den gesellschaftlichen Druck und geriet in den Fokus der Kritiker.
Der Grund liegt auf der Hand: Reisen sind ein großer Verursacher der weltweiten CO2-Emissionen und daher stark im gesellschaftlichen Fokus. Ohne klimaschädliche Mobilität ist Reisen aber schwer möglich. Deshalb ist der Umgang mit dem Thema Klimaneutralität in der Branche besonders relevant.
Aus Produzentensicht spielt beim Umgang mit dem Thema das Reiseverhalten der Kunden dabei eine zentrale Rolle und hat Einfluss auf die Kundenschnittstellen. Aufgrund des Wandels im Reiseverhalten ist zu erwarten, dass Informationen, Wissen und Beratung rund um Nachhaltigkeit wichtiger werden. Allerdings ist der "Attitude Behaviour Gap" beim Kunden derzeit die größte Herausforderung. Denn das tatsächliche Konsumverhalten ändert sich derzeit kaum: Kunden handeln entgegen ihrer Einstellung. Insbesondere auch im Urlaub.
Obwohl fast die Hälfte der Deutschen an nachhaltigen Reisen interessiert sind, reisen weniger als zehn Prozent tatsächlich nachhaltiger. Das hat viele Gründe: Bequemlichkeit, fehlendes Sortiment, unzureichendes Wissen. Aber auch fehlende Angebote und mangelnde Beratung im Vertrieb und durch Veranstalter sind dabei Hürden, die es noch zu überwinden gilt.
Insbesondere an den Schnittstellen zum Kunden muss es daher zu Optimierungen kommen. Digitalisierung und Nachhaltigkeit sind heute die Treiber der Veränderung. Auch in unserer Branche. Beides miteinander zu verbinden, ist deshalb das Gebot der Stunde. Die Reisewirtschaft ist gut beraten, die gegenseitige Abhängigkeit und Wechselwirkung zu bewerten und die Chancen zu nutzen.
Denn Digitalisierung hat dazu geführt, dass sich Kunden intensiver online informieren und buchen. Die Pandemie ist, wie in anderen Branchen auch, zu einem Katalysator für die digitale Transformation geworden. Digitalisierung schafft die Voraussetzung, große Mengen an Daten zu verarbeiten und miteinander zu verknüpfen. Übersetzt heißt das, für jeden Reisebaustein Flug, Bahn, Hotel, Mietwagen diese Informationen zu erfassen und zu markieren.
Für Veranstalter entsteht die Aufgabe, Daten zu bündeln und zu kennzeichnen. Die Vertriebssysteme sind gefordert, ihre Buchungsmasken und Filtermöglichkeiten darauf anzupassen. Der Vertrieb sollte dann die Kunden an die Hand nehmen.
Um nachhaltige Reisen zu fördern, wird es in Zukunft entscheidend sein, an den Touchpoints diese Informationen bereitzustellen und einen "Anstupser" für die Beratung und Buchung zu geben. Das Kundenverhalten sollte aktiv in Richtung Nachhaltigkeit gelenkt werden. "Nudging Tourists" heißt es bereits im Fachjargon. Nur so kann diese Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit überwunden werden.
Die Findus-Studie kam bereits vor vier Jahren zu dem Fazit: "High prices, a lack of information and low visibility of sustainable travel offers are the main identified obstacles for consumers to book sustainable vacations." Das leitet zum zentralen Punkt, inwieweit die Fülle an Daten zu Urlaubsprodukten in Zukunft für den klassischen Beratungsprozess geeignet sind und sich stattdessen Nachhaltigkeit zum Wegbereiter der ohnehin fortschreitenden Digitalisierung im Reisemarkt entwickelt.
Im Ergebnis wird sich Nachhaltigkeit somit zum Beschleuniger in der Digitalisierung erweisen. Fest steht, dass heute die Voraussetzungen noch lange nicht gegeben sind. Reisebüros sind gut beraten, sich auf ihre Stärken zu konzentrieren und dem Kunden die Komplexität abzunehmen. Sie sollten sie an Nachhaltigkeit heranführen und dabei selbst die Chancen der Digitalisierung nutzen.
erschienen als Gastbeitrag auf fvw.de